'Oh mein Schüler Parvati, viele ernennen sich selbst zum Guru und loben sich selbst,
ständig schielen sie auf den Besitz ihrer Schüler und suchen materielle Dinge zu erlangen,
doch der wahre realisierte Guru ist ständig bestrebt Gefahren, Schwierigkeiten, Unruhen,
Täuschungen und Unwissen von seinem Schüler fernzuhalten'.
PARAMAHAMSA HARIHARANANDA mit Prajñananandaji 
und Shuddhanandaji

DIE ROLLE DES GURUS*


Ein Guru oder Lehrer ist für jede spirituelle Übung unentbehrlich. Nach den Schriften ist der Guru Brahma der Schöpfer, Vishnu der Erhalter und Shiva der Zerstörer. Durch neue samskaras (innere Ausrichtungen), erschafft Er Sehnsucht nach moksa (Befreiung) und bewahrt das körperliche, geistige und spirituelle Wohlbefinden des Schülers. Er zerstört die Wirkungen von schlechtem Karma und tiefliegenden Wünschen und führt den Schüler zum Licht. Der Guru ist Gott in Seinem manifesten und persönlichen Aspekt. Gu bedeutet das Unsichtbare, also Gott, während ru das Sichtbare bezeichnet. Das Unsichtbare benützt das Sichtbare als Instrument. Die Beziehung zwischen Guru und Schülern ist ewig. Er ist für seine Schüler verantwortlich, bis sie moksa erlangen.

Die indische Kultur legt besonderen Wert auf die beziehung zwischen Guru und Schüler. Wer Schüler werden möchte, sucht durch Demut, Liebe und Dienst, Zugang zum Guru. Ein wahrer Guru hat Selbstverwirklichung erlangt, womit vollkommene Meisterschaft über den puls- und atemlosen Zustand, d.h. samadhi, gemeint ist. Nur unter dieser Voraussetzung ist jemand der Aufgabe eines Gurus gewachsen und nicht etwa, weil er ein guter Redner ist oder eine große Gefolgschaft hat. Wenn jemand ernsthaft nach Erleuchtung sucht, sorgt Gott dafür, daß er einen wahren Guru bekommt.

Die meisten Menschen scheitern mit ihrer Suche nach Wahrheit, weil sie sich im Wald der Theologie verlieren und von einer Theorie zur anderen irren. In guten Büchern finden sich zwar religiöse Prinzipien, ihre ganze Bedeutung bleibt aber so lange unbegreiflich, bis ihre Verwirklichung im Leben eines Gurus gesehen wird. Ein Erleuchteter kann seinen Schülern helfen, vorausgesetzt diese befinden sich mit ihm in Einklang. Später ist die physische Gegenwart des Meisters zur Führung nicht mehr so wichtig. Gott selbst ist der wahre Guru. Der menschliche Guru ist nur sein Werkzeug oder Vermittler.

Ein Aspirant, der nach Gott sucht, muß sich zuerst über das Bewußtsein des Körperlichen und Materiellen erheben. Durch Üben der großen Yoga-Methode, die von den Weisen Indiens enthüllt wurde, kann er leicht über das begrenzte Körperbewußtsein hinausgehen und seine Einheit mit Gott fühlen. Er spürt, daß die eigene Existenz Geist ist. Der Mensch ist Anfang und Ende von allem. Er kann fühlen, daß ER durch alle Hände arbeitet, durch alle Gemüter denkt und sein eigenes Herz in allen Herzen schlägt. Er spürt die eigene Gegenwart in allem und erkennt, daß die Sterne nichts als Schmuckstücke an seinem riesigen Körper sind. Er breitet sich über die Sterne aus, erstrahlt aufgrund ihrer Helligkeit, und die Schöpfung treibt auf dem Ozean ewiger Existenz.

Körper und Verstand sind nichts anderes als zwei Formen von Geist. Geist als Materie manifestiert, ist immer noch Geist. Die spirituelle Tradition Indiens lehrt zu erkennen, daß dieser Geist in uns lebt. Durch die Bindung an Körper und Materie vergißt die Seele ihre wahre Natur. Darum muß ihr göttliches Gedächtnis erst wieder wachgerufen werden. Dann erst kann der Mensch herausfinden, daß er selbst Gott ist, alles Gott ist und nichts außer Gott existiert. Dieses Erkennen der höchsten und absoluten Wahrheit ist der Schatz Indiens, den man mit Hilfe der Technik von Kriya Yoga erlangen kann.

Alle wahren Gurus leben noch, ungeachtet dessen, ob sie ihre körperliche Form behalten haben oder nicht. Am Anfang der spirituellen Suche kann man viele Lehrer haben, es gibt jedoch nur einen Guru. Schüler sind jene, die für eine ewige Beziehung zum Guru kommen. Der Guru ist die lebende Verkörperung der spirituellen Wahrheit. Sobald der Schüler sein Herz gereinigt hat, sendet ihm Gott einen Guru, da es einfacher ist, einer lebenden Verkörperung der Wahrheit zu folgen, als von abstrakten Vorstellungen zu zehren. Kein Buch, wie erhaben es auch sein mag, kann den Guru ersetzen.

Die Frage ist, wie man wissen kann, wem die Rolle des Gurus auf dem Weg zur Selbstverwirklichung zusteht. Shri Shankara sagt: »Ein echter Lehrer ist, wer mit den Veden wohl vertraut und ohne Sünde ist, nicht von Begierden hingerissen und der Beste unter den Kennern des Brahman ist, wer sich in Brahman zurückgezogen hat, ruhig ist wie ein Feuer, das seinen Brennstoff verbrannt hat, wer ein unendlicher Quell der Gnade ist, unverletzbar und ein Freund aller guten Menschen, die sich vor ihm verneigen.«

Die Gita sagt, der Mensch, dessen Geist im Leid ungetrübt bleibt, dessen Durst nach Vergnügungen gestillt und der frei von Leidenschaft, Angst und Wut ist, habe einen in sich ruhenden Verstand. Ein realisierter Weiser ist frei von Wünschen, Selbstsucht, Egoismus, Ich-Gefühl, Anhaftung, Gier und Hass. Er ist voll reiner Liebe, Mitgefühl und Barmherzigkeit und ein Kraftwerk spiritueller Energie. Es ist ein seltenes Glück, mit solch einem Weisen oder Satguru in Berührung zu kommen. Gott sendet Seine Repräsentanten immer zu jenen, die Ihn wahrhaft suchen. Nur wenige haben nirvikalpa samadhi erlangt. Besteht der ernsthafte Wunsch nach spirituellem Fortschritt, muß ein wahrer Guru gesucht werden. Natürlich kann auch ein fortgeschrittener Yogi den Aspiranten anleiten, zum Ziel kann ihn jedoch nur ein verwirklichter Meister führen.

Ein Satguru oder verwirklichter Meister reinigt bei der Einweihung den Körper des Schülers, indem er seine spirituelle Kraft in ihn hineinfließen läßt. Durch Reinigen der Wirbelsäule in den sechs verschiedenen Zentren weckt er die Schlangenkraft, die im menschlichen Körper verborgene kosmische Energie. Der Schüler erfährt drei göttlichen Qualitäten: Licht, Ton und Schwingung. Die sechs Rückenmarkszentren binden den Menschen seinem Karma entsprechend an die materielle Welt erlauben ihm nicht, über Animalität und Rationalität hinauszugehen. Wenn aber der Schüler unter Anleitung eines Gurus seine sechs Rückenmarkszentren mit Hilfe der Kriya-Yoga-Technik unter Kontrolle bringt und Gottesbewußtsein etabliert, kann er alle Laster überwinden und sich zu einem göttlichen Wesen entwickeln. Dann verschwindet die Unwissenheit, und das Licht der Weisheit erstrahlt in ihm.

Ein Sprichwort in Sanskrit besagt: »Verehre Gott nachdem du zu Gott geworden bist.« Erst nachdem man die latent im Steißbeinzentrum anwesende spirituelle Kraft durch die verschiedenen Zentren in der Wirbelsäule nach oben ins Gehirn gezogen hat, ist Spiritualität möglich. Gebete, Gottesdienst und Rituale sind als Formeln nutzlos. Sie erzeugen oft weder im Bewußtsein noch im Herzen einen Wandel. Nur ein verwirklichter Meister kann die reinigende kosmische Kraft, die Kundalini, wachrütteln. Deshalb ist die direkte Begegnung mit einem Guru essentiell.

Shri Shankara sagt: »Drei Dinge sind wahrhaft selten und werden nur durch die Gnade Gottes erlangt: menschliche Geburt, die Sehnsucht nach Befreiung und die schützende Fürsorge eines vollkommenen Weisen. Nicht jeder kann ein Guru sein. In jedem Zeitalter verkörpert sich Gott selbst als Guru, um die Menschheit zu lehren. Allein sat-cit-ananda ist Guru. Es gibt nur einen Guru, Upagurus kann es jedoch viele geben. Jeder, von dem man etwas lernt, ist ein Upaguru. Der große avadhuta, ein Mönch, der in der Bhagavata erwähnt ist, hatte 24 Upagurus. Den Satguru oder verwirklichten Meister sendet Gott nur den ernsthaftesten Schülern.

Paramahamsa Yoganandaji sagte, daß man Spirtualität nicht auf dem Markt kaufen kann. Vater und Mutter ermöglichen die körperliche Geburt. Doch es ist der Guru, der die spirituelle Geburt ermöglicht und seine Schüler zum Ufer der Selbstverwirklichung führt. Will der Schüler den vollen Nutzen aus seinem Kontakt mit dem Guru ziehen, muß er dessen Anweisungen voller Vertrauen und aufrichtig folgen und regelmäßig meditieren. Worte werden der die Seele offenbarenden Kraft von Kriya Yoga nicht gerecht. Um im Kriya Yoga Fortschritte zumachen, benötigt man keine theoretischen Kenntnisse. Einzig Konzentration und Aufrichtigkeit sind notwendig. Ein wahrer Guru ist ein Erwählter Gottes, durch den Gott seine Anhänger lehrt, ihr eigenes Selbst zu erkennen.


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Die Bezeichnung "GURU" wird in Indien
allgemein wie das Wort "Lehrer" verwendet.
Der "inflationäre" Gebrauch als Titel, hat
ähnlich wie beim Wort "LIEBE", speziell in
der modernen westlichen Welt zu einer
falschen Auffassung geführt.
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©Mit freundlicher Genehmigung:
Paramahamsa Hariharananda

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